Mistelbach ist die Mitte der Welt

Platzgestaltung von Alois Mosbacher, 2007


Es war ein mühsamer geschichtlicher Prozess, bis sich in der Wissenschaft unser heutiges Weltbild durchgesetzt hat: Die Erde ist keine Scheibe und ist nicht Mittelpunkt des Sonnensystems. Unsere geografische Vorstellung von der Welt ist aber immer noch sehr zweidimensional. Die kartografischen Projektionen der Erde beschränken die Dimensionen auf oben und unten, links und rechts. Mathematisch lässt sich der Globus auch auf eine Kreisfläche projizieren, mit jedem möglichen Mittelpunkt. Die Größe und Form der Länder und Kontinente wird dabei bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.


Für mein Kunst-am-Bau-Projekt in der Landesberufsschule Mistelbach habe ich ein solches kreisförmiges Weltbild auf den Pausenhof "gemalt". Mit gelber Straßenmarkierungsfarbe sind die Landmassen der Erde auf die radwegblauen Ozeane aufgetragen. Das Zentrum dieser Weltkarte ist natürlich Mistelbach. Dort ist ein Baum gepflanzt, um den herum Bänke gruppiert sind, die in einem Workshop mit den Schülern gefertigt wurden. So entsteht eine "heimatliche" Gemütlichkeit, die in die niederösterreichischen Landesfarben eingebettet ist.Wenn man vom Pausenhof der Schule ein paar Schritte die Wiese hinaufgeht, kann man sich auch einen anderen Blickwinkel vorstellen: Die lokale Begrenztheit verwandelt sich in einen globalen Raum, die runde Weltkarte wird zu einem Planeten.
(Alois Mosbacher)


Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. www.koernoe.atWeiterführende Informationen unter http://perspektivenaufkunst.net.


Alois Mosbacher
*1954 in Strallegg, lebt in Wien und Niederösterreich. Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien. Mosbacher zeigte seine Werke u. a. in Ausstellungen im Aargauer Kunsthaus, der Secession Wien, in der Neuen Galerie Graz und im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, im Lentos Linz sowie im Kunstverein Bremen. Er zählt zu den wesentlichen Repräsentanten der Neuen Malerei der 1980er Jahre. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Kulturpreis Niederösterreich für Bildende Kunst (2012) und den Österreichischen Kunstpreis für Bildende Kunst (2014).

Peer Group

Figurengruppe von Gabriele Edlbauer, 2016


Vermutlich wurden vor ca. zwei Millionen Jahren die ersten Werkzeuge produziert. Als Folge davon konnten mit der Zeit weitere Werkzeuge entwickelt werden – darunter ein Winkelschleifer GWS 7-115 Bosch, ein Schweißgerät TiG-200M, ein Laptop Mac Book Pro und ein Oszilloskop PICO technology Dr. DAQ. Während die vermeintlich ersten Werkzeuge der Menschheit in den Glasvitrinen der großen historischen Museen stehen, schweben die genannten zeitgenössischen Geräte als Teil der Skulpturengruppe „Peer Group" in Kunstharz-Güssen in Mistelbach.


Die Landesberufsschule Mistelbach bildet junge Menschen zu Handwerkern und Handwerkerinnen aus. In den Werkstätten stehen funkelnde Drehbänke Seite an Seite. Berufserfahrenes Lehrpersonal vermittelt den Lehrlingen den korrekten Umgang mit den illustren Maschinen mit Gefahrenpotential. Lichtbögen blitzen, und die Erläuterungen werden der Umgebungslautstärke entsprechend vorgebracht. Im Pausenhof ist es anders: Der Lärm der Maschinen ist fast verschwunden – und auch die wachsamen Blicke des Personals sind endlich mal nicht da. Sitzen, plaudern, rauchen, entspannen, unter sich sein.


Gabriele Edlbauer mischt mit „Peer Group" vertraute Aliens unter die Lehrlinge: Vier Skulpturen aus Epoxidharz hängen neben ihnen auf den Bänken ab – Zilli, Betoni, Gregorius und Flo. Jedoch ist „Peer Group" nicht bloß eine Skulpturengruppe, sondern beinhaltet auch einen freundschaftlichen Tauschhandel. Die Entwürfe der Plastiken stammen nicht von Edlbauer selbst, sondern von befreundeten Künstlern und Künstlerinnen. Es sind Zitate aus Arbeiten von Cäcilia Brown, Toni Schmale, Gregor Göttfert und Florian Voggeneder. Alle beteiligten Künstler*innen arbeiten verstärkt mit Metall und Elektronik – Schwerpunkte der Landesberufsschule. Die Werkzeuge, die in den Skulpturen eingegossen sind, gehörten einst den partizipierenden Künstler*innen: Cäcilia Brown das Schweißgerät, Toni Schmale die Flex, Gregor Göttfert das Oszilloskop, das Netzteil und die Lötstation und Florian Voggeneder der Laptop. Die Geräte weisen Spuren jahrelanger Nutzung auf. Ihrer Funktion enthoben, schweben sie nun höchst präsentabel in ihren skulpturalen Umhüllungen. Was gerade noch ein funktionstüchtiges und dreckiges Werkzeug war, ist verstummt und hält nun ein Momentum des künstlerischen Arbeitsprozesses fest.


Diese – höchst inkorrekt genutzten – Geräte ähneln jenen, die sich in den Werkstätten in Betrieb befinden. Doch im Unterschied zu den qualitativ sehr hochwertigen Lehrgeräten der Berufsschule sind die der „Peer Group" von jungen, am Anfang ihrer Karriere stehenden Privatpersonen angeschafft worden. Statt dem So-gut-wie-möglich der Berufsschule stand ein So-gut-wie-finanziell-möglich vor der Kaufentscheidung.Wenn Werkzeuge die Verlängerung unserer Hände bedeuten, dann sind Qualitätsunterschiede von Werkzeugen alles andere als bloß eine Frage der Mode.

Die Geräte und Arbeiten der vier befreundeten Künstler*innen sind Teil eines gegenseitigen Deals: Als Ersatz für die funktionstüchtigen Apparate sowie als „Entgelt" für die künstlerische Arbeit wurden für die Projektpartner*innen neue, den Qualitätsstandards der Landesberufsschule entsprechende Werkzeuge angeschafft. Auch wenn die Originalgeräte im Mistelbacher Schulhof ihr zeitgenössisches „Bernsteingrab" fanden, arbeiten und wirken sie doch an der Seite der Künstler*innen weiter. Sie erlebten ihre Werkzeug-Reinkarnation und kehrten in, qualitativ besserer Form in die Ateliers zurück.
(Nikolaus Eckhard; gekürzte Version)

Zwei Skulpturen wurden mittlerweile abgebaut.

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. www.koernoe.at
Weiterführende Informationen unter http://perspektivenaufkunst.net.

Gabriele Edlbauer
*1988 in Linz, lebt in Wien. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien und am Royal Institut of Art Stockholm. Ausstellungen u. a. im Belvedere 21, Wien (2019), im Musa, Wien, und in der Luckman Gallery, Los Angeles (2016), im OK Offenes Kulturhaus, Linz, und in der Galerie 5020, Salzburg (2015). Seit 2016 Universitätsassistentin an der Akademie der bildenden Künste.http://www.gabrieleedlbauer.net